Ein digitaler 3. ÖKT: Die Transformation ist nicht gelungen

Hanno Terbuyken
5 min readMay 16, 2021

Der 3. Ökumenische Kirchentag hätte digital besser laufen können

Ein Ausschnitt aus der PDF, auf die das ganze ÖKT-Programm 2021 drauf passte.

Digital und dezentral sollte der 3. Ökumenische Kirchentag in Frankfurt sein. Wie hat das funktioniert, vor allem mit dem Blick der Teilnehmer:in? Ein paar unsortierte Gedanken einen Tag nach der Veranstaltung:

Kirchentags-TV

Als Teilnehmer:in von außen, der allein zuhause und nicht in einer Gruppe zugeschaut hat, wirkte der ÖKT auf mich vor allem wie ein Tag “Kirchentags-TV mit Tanzeinlagen”. Auf der zentralen Präsenz des Kirchentages, oekt.de, war das aktuelle Hauptprogramm im Vimeo-Video zu sehen (übrigens auf dem PC-Bildschirm ziemlich klein). Die beiden Links zum parallelen Live-Alternativprogramm musste man darunter suchen, die vorher aufgezeichneten On-demand-Veranstaltungen waren nur über die Programmdatenbank zu finden und die Karte mit den dezentralen mitfeiernden Gemeinden war gut versteckt und vor allem dafür da, zu zeigen, wo jemand sich eingetragen hatte, statt dezentrale Mitmach-Angebote zu präsentieren.

Die Vielfalt, die überwältigende Menge an Angeboten und das zufällige Entdecken machen einen Kirchentag aus. Es ist dem ÖKT nicht gelungen, dieses Gefühl ins Digitale zu übertragen.

Was hätte besser sein können? Alle Programmstränge (ÖKT-Live-Studio, Live-Podien, Live-Workshops, Live-Gespräche, On-Demand-Inhalte) mit einem eigenen Video-Platz auf der Startseite von oekt.de versehen, um besser zu zeigen, dass mehr da ist als nur der eine Haupt-Livestream, und insgesamt mehr Programm zulassen.

Eine verwirrende Mischung

Der beste Weg, sich ins digitale Kirchentagsangebot zu klicken, war diese PDF-Datei. Darin waren alle rund 80 Veranstaltungen verzeichnet, mit Links auf den entsprechenden Eintrag im Programm. Ohne diese Übersicht war aus der ÖKT-Webseite, die ja eigentlich das Zentrum des Besuches sein sollte, nicht ganz einfach rauszukriegen, welches Programm wann und wie stattfinden würde. Wer am Tag des Kirchentages dort unterwegs war, weil sie den digitalen Kirchentag besuchen wollte, und nicht den aktuellen Live-Stream sehen wollte, musste viel klicken.

Dazu war auch erst auf den zweiten Blick klar, ob eine Veranstaltung auf Abruf schon verfügbar war oder live sein würde. Diese Mischung aus “on demand” und “live” war für Nutzer:innen nicht wirklich erkennbar, zumal es auch keine inhaltlichen Gründe gab, was live und was auf Abruf sein sollte. Im Ablauf der Live-Streams waren außerdem die Themenstränge unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunkte bunt gemischt. Das führte dazu, dass das zunächst nicht korrekt ausgespielte Statement von Katharina Kracht aus dem EKD-Betroffenenbeirat zum Thema Missbrauch in der Kirche nach einem Impuls zum Thema Geld nachgeholt wurde (siehe Bericht in der “Eule”, wo auch ihr Statement nochmal dokumentiert ist).

Dann waren da diverse Einspieler, Musik- und Tanzeinlagen im Live-Stream, die mich eher zum Weggucken oder Abschalten reizten. Natürlich ist Kirchentag auch immer Kulturprogramm, und diese Einlagen mögen Geschmackssache sein. Aber Online-Streams funktionieren nicht über Vielfalt, sondern über Fokussierung auf Inhalte, Personen oder guten Zweck.

Was hätte besser sein können? Die re:publica hatte es online vorgemacht: Parallele Live-Stränge mit einer kontinuierlichen Themensetzung halten online Menschen bei der Stange. Nächstes Mal sollten entweder alle Veranstaltungen in passenden langen Themenblöcken live hintereinander gestreamt werden (sie können auch vorab aufgezeichnet sein) oder alle auf individuellen Abruf verfügbar sein. Dann müssen Nutzer:innen nicht gleichzeitig in der Logik und im Thema hin- und herwechseln. Tanz- und Musikbeiträge dann gerne als zusätzlichen Stream.

Frankfurt?

“Digital und dezentral” hatte der ÖKT als Motto ausgegeben. Dafür braucht es allerdings keine gastgebende Stadt. Der ÖKT war natürlich in einer sehr misslichen Lage: Als jahrelang vorbereitetes Großereignis von einer präsenz-einschränkenden Pandemie erwischt zu werden, macht auch den geplanten Austragungsort unglücklich. So wirkte die Kirchentagsdeko in Frankfurt doch etwas verloren und die Einbindung der Skyline in das Corporate Design eher gezwungen.

Ich war an Himmelfahrt zur (corona-getesteten) Aufzeichnung des Podiums “Gemeinsam im Netz — Technologie kennt keine Konfession” in Frankfurt und fand es schade, dass die Innenstadt selbst nur ganz wenig Kirchentagsatmosphäre aufbieten konnte. Aber so ist es leider, wenn keine Menschenmassen mit Kirchentagsschals wedeln.

Was hätte besser sein können? Vielleicht hätten als Drehorte auch Kirchentagsstudios in drei Messehallen gereicht, denn bei den Aufzeichnungen war nicht zu erkennen, ob jemand in der Ev. Akademie auf dem Römerberg oder im Kap Europa auf dem Messegelände sitzt. Optimalerweise hätte der ÖKT Frankfurt als Gaststadt auf das nächste Mal verschoben und alles aus Studios gesendet. Aber das geht bei den langen Planungsfristen nicht und beim so seltenen ÖKT erst recht nicht. Mit fünf Monaten Vorlauf statt Vor-Ort-Gastgebern eine Alternativ-Finanzierung zu finden, wäre ohnehin schwer geworden. Insofern: Schade, aber nicht zu ändern. Da hat der ÖKT noch das Beste draus gemacht.

Dezentral = egal

Der ÖKT wollte auch “dezentral” sein. Trotzdem war das Kirchentagsprogramm stark zentral kontrolliert und organisiert. Dass die virtuelle Messehalle, die ich mit ChurchDesk und weiteren Partern angeboten habe, nicht offizieller Programmteil war, ist klar und nachvollziehbar — die Präsenz von Organisationen und Firmen auf dem ÖKT ist eben mit dem Wechsel ins Digitale weggefallen, weil es keine Messehallen mit Publikum gab.

Dass aber eine Aktion wie der “Füreinander”-Stream von yeet und ruach.jetzt nicht Teil des offiziellen Kirchentagsprogramms war und auf der ÖKT-Präsenz für Besucher:innen nicht zu finden war, ist für mich ein Skandal. Welchen Zacken hätte sich der Kirchentag aus der Krone gebrochen, diese gut gemachte und erfolgreiche Aktion auch mit aufzunehmen? Ebenso übrigens der Live-Besuch auf der Seawatch 4 (danke an @FrauAuge für die Ergänzung), und mit Sicherheit war da noch mehr.

Auch von den anderen Aktionen, die dezentral in Kirchengemeinden im ganzen Land stattfanden, war nichts zu sehen außer der bereits erwähnten, ziemlich versteckten Deutschlandkarte. Im Außenbild des ÖKT kam das “dezentral” aus dem Slogan nicht vor.

Was hätte besser sein können? Alle Veranstaltungen, die Menschen anlässlich des Kirchentags machen wollten, ins offizielle Programm aufnehmen. Dann wäre auch mehr als ein Tag Programm zusammengekommen. Diesen “kontrollierten Kontrollverlust” habe ich im Dezember 2019 schon vorgeschlagen, aber dazu kam es dann nicht. Schade.

Sehr gute Referent:innen-Betreuung

Ich durfte, wie schon erwähnt, bei einer der vier Veranstaltungen zum Schwerpunkt “Digitale Gesellschaft” mit auf der Bühne sitzen. Das war eine aus meiner Sicht sehr gut organisierte, anregende Veranstaltung, und auch die Nachbesprechung per Videokonferenz am am Samstag (live um 13 Uhr) war gut — wenn auch mit weniger als 10 Teilnehmer:innen wenig besucht.

Was ÖKT und Kirchentag einfach gut können, ist die Referent:innen-Betreuung. Vorher haben sie uns einen Corona-Test für zu Hause geschickt, wir mussten ein- und auschecken, die Produktion lief reibungslos einschließlich der remote zugeschalteten Anna Neumaier, es war genug Zeit eingeplant und einen Kirchentagsschal gab es obendrauf. Das funktioniert einfach gut beim Kirchentag.

Was hätte besser sein können? Als Mitwirkender auf einem Podium blieben keine Wünsche offen.

Zum Schluss: Nächstes Mal noch mehr digital!

Wenn ich mir eines wünschen darf, dann dieses: Der “digitale Kirchentag” ist aus meiner Sicht verbesserungsfähig. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass die Verantwortlichen diese Form nicht als “Notfallvariante” abspeichern und sich für 2023 in Nürnberg (7.-11. Juni) nicht nur darauf einrichten, dass das dann wieder ein “richtiger, analoger” Kirchentag wird.

Auf der einen Seite ist es toll, wenn sich alle wieder treffen können. Auf der anderen Seite ist es aber auch fantastisch, wenn auch das Netz während des Kirchentages voll mit Kirchentagsinhalten ist, währenddessen und hinterher Highlights noch mal aktiv beworben werden können, und digitale Beteiligungsformen selbstverständlich und niederschwellig verfügbar sind. Das ist für eine Veranstaltung, die sich darin sonnt, als “Zeitansage” verstanden zu werden, definitiv an der Zeit. Der 3. ÖKT war dafür hoffentlich eine gute Lehre.

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Hanno Terbuyken

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