Was macht eine Kirche eigentlich “digital”?

Hanno Terbuyken
4 min readJul 10, 2020

Der digitalen Gegenwart Rechnung zu tragen heißt mehr, als nur Online-Werkzeuge zu benutzen.

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“Was ist das #digital in #DigitaleKirche eigentlich?”, hat Stephan List auf Twitter gefragt. Antworten hat er keine bekommen. Das liegt möglicherweise daran, dass die Antwort auf der einen Seite ganz einfach ist und auf der anderen Seite gar nicht einfach ist.

Die äußere Gestalt einer Kirche oder Gemeinde mit einem Minimum an digitaler Gegenwart ist jetzt, im Sommer 2020, einfach zu beschreiben: Sie hat eine Webseite, auf der aktuelle Termine stehen und man kann dem Gemeindebüro eine E-Mail schicken. Mindestens die Pfarrer:in hat eine Social-Media-Präsenz auf Facebook oder Instagram (oder die Gemeinde selbst) und teilt regelmäßig schöne oder interessante Inhalte auf Social-Kanälen. Ebenso wie eine:n lokalen Datenschutzbeauftragte:n gibt es garantiert eine oder mehrere WhatsApp-Gruppen, in denen sich Menschen absprechen — mindestens der Kirchenchor.

In dieser äußeren Gestalt, die sich im ausgeprägten Einsatz digitaler Technik manifestiert, können die allermeisten Gemeinden noch besser werden, sei es durch Eigeninitiative, die Unterstützung von Bistum oder Kirchenkreis oder durch die Hilfe von spezialisierten Dienstleistern. Die Corona-Krise hat im Bereich Livestreaming und Online-Gottesdienste da einiges angestoßen, wie wir wissen.

Aber digitale Kirche hat auch eine innere Gestalt. Je schwächer die ausgeprägt ist, umso schwächer ist auch der Auftritt nach außen. Diese innere Gestalt entsteht letztlich aus dem Grundmerkmal der digitalen Gegenwart: der Auflösung von Grenzen. Damit meine ich nicht Landesgrenzen (wobei auch die immer weniger relevant werden), sondern drei ganz konkrete Entwicklungen.

  • Die Aufteilung von Information in Bits & Bytes bedeutet, dass jede Information beliebig oft kopiert werden kann.
  • Weltumspannenden Datenleitungen sorgen dafür, dass jede Information überall hin übertragen werden kann.
  • Die Synchronisierung der Netze ermöglicht, dass jede Information sofort übertragen werden kann.

Digitale Transformation bedeutet für mich, diese Auflösung von Grenzen bei Verfügungsgewalt, Zeit und Ort zu verstehen, zu akzeptieren und die entstehenden Freiheiten auch zu nutzen.

Eine Kirche (oder Gemeinde), die einen Digitalisierungsprozess anstrebt, muss sich einen eigenen Reim auf die flächendeckende Entgrenzung machen. Sie muss zugleich verstehen, wie diese Entwicklungen die Erwartungen der Menschen da draußen verändert haben, und ihr Handeln daran anpassen.

Das betrifft alle denkbaren Bereiche.

Zum Beispiel: Weil alle Informationen jederzeit verfügbar sind, erwarten Menschen auch eine entsprechende direkte, persönliche Ansprache. Wer überall sonst entsprechend seinen Vorlieben angesprochen wird, nimmt Angebote weniger wahr, die das nicht machen.

Eine solche Nutzerorientierung kann eine Gemeinden umsetzen, wenn sie die Menschen um sie herum fragt, was sie interessiert, und die richtigen Angebote dafür macht. Klingt eigentlich selbstverständlich, ist aber auch ein Zeichen einer “digitalen” Kirche. (Methoden dazu gibt es zum Beispiel in Leila Summas kluger Sammlung “33 Werkzeuge für die digitale Welt”, falls jemand nach Inspirationen sucht.)

Es selbstverständlich, alle Verwaltungsvorgänge online erledigen zu wollen. Das kriegen viele Städte auch nicht hin und es ist ein stetes Ärgernis, vor allem wenn die Möglichkeiten zwar schon bestehen, aber ausgerechnet auf dem Smartphone nicht funktionieren.

Die Kopierbarkeit von Informationen bedeutet unter anderem, dass Kirchen sich neu Gedanken machen müssen um die Verbreitung von Bibeltexten und Gesangbuchliedern. Für eine einzelne Gemeinde ist das zu viel verlangt, da sind andere Ebenen gefragt. Die Deutsche Bibelgesellschaft hat mit der Kon-App und der Lutherbibel 2017, die in Zusammenarbeit mit der EKD über die App dazu kostenlos ist, schon richtige Schritte in diese Richtung gemacht.

Und allein dadurch, dass jede:r jede:n einfach anrufen, anmailen, antwittern und selbst publizieren kann, werden Hierarchien und Machtgrenzen viel schwammiger. Gemeinde oder Landeskirche, Leitende Geistliche oder Konfirmanden — sie haben alle den gleichen Zugang zu Wissen und Werkzeugen. Manche Menschen haben mehr Erfahrung oder Expertise, aber auch diese Verteilung hängt nicht mehr von Organisationsgrenzen ab.

Auf Social Media aktiv zu sein, bedeutet, sich auf diese gleichberechtigte Ebene zumindest einzulassen. Da bestimmt die innere Gestalt dann die äußere Gestalt.

Der protestantischen Kirche fällt dieser partizipative, hierarchiearme Gedanke eigentlich leicht, auch das Priestertum aller Gläubigen profitiert davon. In der digitalen Gegenwart müssen allerdings dann auch die Regeln flexibel sein, die den äußeren Rahmen für das gemeinsame Handeln von Menschen in der Kirche bilden.

Die katholische Kirche hat es strukturell eigentlich leichter, weil Regeln dort hierarchischer verfasst werden: Wenn der Bischof und der Generalvikar eines Bistums dahinter stehen, öffnen sich sehr schnell neue Räume. Der Weg dahin ist allerdings lang, das zeigt der Synodale Weg der deutschen Katholiken ganz gut.

Wie diese Flexibilität im Alltag aussehen kann, ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Der Wille, auf diese Prozesse, Veränderungen und Grenzauflösungen überhaupt aktiv einzugehen, ist dagegen überall nötig und definitiv ein wichtiges Merkmal einer digitalen Kirche. Mit dem Einsatz digitaler Werkzeuge statt Papier und einer aktuellen Internetseite hat das nur mittelbar zu tun: Digitale Kirche beginnt beim Denken.

(Und Newsletter. 😉 Einen Newsletter sollte wirklich jede Kirchengemeinde haben. Einfacher und unkomplizierter kann man die direkte, aktive, interessengeleitete Ansprache gar nicht umsetzen.)

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Hanno Terbuyken

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