Der Brief, den Amazon mir geschickt hat (eigenes Foto).

Post von Amazon

Hanno Terbuyken
4 min readFeb 27, 2021

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Was die Kirchen vom Versandriesen Amazon lernen können

Ich habe letzte Woche Post von Amazon bekommen. “Kostenlose Probe" steht da drauf. Darin waren zwei Portionen Sirup von Pepsi, die dafür gedacht sind, mit dem Sodastream oder anderen Wassersprudlern zuhause ein cola-ähnliches Getränk zu mixen.

Auf der Rückseite des Briefes steht, wie man sich von diesem Versand abmelden kann. Auf der zugehörigen Webseite schreibt Amazon:

“Amazon überrascht ausgewählte Kunden mit Mustern, von denen wir glauben, dass sie reizvoll und hilfreich sind.”

Nun habe ich die Pepsi-Proben weggeworfen, weil ich zwar ab und zu gerne Cola trinke, aber keine Motivation habe, das Zeug zuhause zu mixen. Ich weiß auch nicht, wieso Amazon auf die Idee kommt, ich würde das wollen. Zwar haben wir einen Sodastream zuhause, aber nicht auf Amazon gekauft, so dass zumindest meine Bestellhistorie dazu keinen Anlass gibt.

Trotzdem hat Amazon von mir als Prime-Kunde genug Daten, um mir sowohl statistisch als auch spezifisch passende Angebote machen. Wenn auf der anderen Seite die Kooperation mit den entsprechenden Firmen dazukommt, die den kostenlosen Produkt-Spam nutzen möchte, dann kann da durchaus schon ein passendes Probierprodukt für mich dabei sein.

Eine vorhergesagte Bestellung?

Eine Firma wie Amazon, die fast alle Produkte für den täglichen und besonderen Bedarf zur Verfügung stellt, kann natürlich noch weitergehen: Statt kostenlose Probierpakete könnte Amazon gleich ganze Bestellungen schicken. Die kann ich dann entweder behalten (und bezahlen) oder zurückschicken.

Schließlich kann man auch jetzt schon Verbrauchsmaterialien auf Amazon abonnieren, sei es Katzenfutter oder Klopapier. In Berlin, Potsdam, Hamburg und München ist Amazon Fresh in die Lebensmittellieferung eingestiegen. Es gibt zusätzlich bereits zahlreiche Anbieter von sogenannten “Abo-Boxen” oder “Loot Crates”. Bei denen bestellt man eine zufällige Auswahl von Dingen einer bestimmten Produktkategorie, egal ob Unterhosen, Parfum & Kosmetik, oder aus einem ganz spezifischen Fandom von Marvel bis Harry Potter.

Amazon hätte jedenfalls die Möglichkeit, das auf der Basis von Vermutungen über aktuelle Bedürfnisse ihrer Kund:innen proaktiv umzusetzen. 63 % der Deutschen (Quelle) haben eine Amazon-Prime-Mitgliedschaft —die Datenbasis wäre da, ein freiwilliger Opt-in für Prime-Mitglieder kein Problem. Und meine Vermutung ist, dass die Passgenauigkeit des Angebots hoch genug sein könnte, dass es sich für Amazon lohnt und die Kund:innen das tatsächlich gut finden.

Alle Lebensbereiche personalisiert ansprechen

Auf einer ganz anderen Ebene ist diese Idee, Menschen ein Angebot zu machen, das sie in dem Moment gerade brauchen, schon seit Jahrzehnten Alltag: in der Seelsorge. Pastor:innen und Pfarrer:innen kennen (oft) die Lebenslage ihrer treuen Gemeindemitglieder ganz gut. Sie wissen, wo sie helfen können, wo welche Begleitung notwendig sein könnte, wo die Menschen Hilfe brauchen oder welche Dienstleistung der Kirche gerade passt (allen voran natürlich Taufe, Konfirmation, Trauung oder Beerdigung).

Das funktioniert aber nur mit den Menschen, mit denen Pfarrer:innen regelmäßig sprechen. Die große Mehrheit der Menschen in und um die Gemeinde wird davon nicht erreicht.

Mit persönlicher Ansprache lässt sich das nicht skalieren, und Briefaktionen wie die Impulspost der EKHN sind nicht personalisiert. Mit digitalen Werkzeugen lässt sich beides kombinieren.

Zwei theoretische Möglichkeiten hätte die Kirche als Gesamtorganisation: Entweder ein zentrales digitales Angebot als Webseite und App, auf der jeder Digitalkontakt mit der Kirche stattfindet —genauso wie bei allen Menschen, die über Amazon einkaufen. Das ist aber angesichts der Kirchenstruktur eher unrealistisch.

“Nah bei den Menschen” bedeutet auch digital

Die andere Möglichkeit wäre, die Technologie zur Datensammlung so zu bauen, dass sie auf jeder Gemeindewebseite untergebracht werden kann, sei es über ChurchDesk (wo ich arbeite), die Webbaukästen der Bistümer und Landeskirchen und auch auf Einzellösungen, die es in vielen Kirchengemeinden ja nach wie vor gibt. Dazu müssten allerdings entsprechende Informationen, Suchziele etc. auch vorhanden sein und falls nötig auch zentral zur Verfügung gestellt werden, damit Interessen überhaupt erkannt werden können. Amazon hat fast jedes beliebige Produkt auf seiner Webseite, so dass der Algorithmus zur Interessenverfolgung Indikatoren für fast alle Lebensbereiche hat.

Natürlich muss sowas dann noch mit Datenschutzbedenken und einer Kommunikationsstrategie abgeglichen werden. Aber eine Kirche, die “nah bei den Menschen” sein will, sollte das auch digital sein und sich dafür die erfolgreichsten Ideen zumindest genauer anschauen. Schließlich hat Amazon Prime die deutschen Kirchen bei der Zahl der Mitglieder inzwischen überholt.

Übrigens: Wer mit mir und anderen über die Frage nachdenken möchte, wie sowas gehen kann, was die Kirchen aus dem Lockdown und der Pandemie gelernt haben und wie es weitergeht, kann das beim zweiten Hackathon #GlaubenGemeinsam vom 26.-28. März 2021 tun!

Rückmeldungen? Andere Ideen? Themenvorschläge? Immer her damit, hier oder auf Mastodon!

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Hanno Terbuyken

Country Manager Germany @ChurchDesk, früher: GEP & @evangelisch_de | #Digitalisierung | #DigitaleKirche | Games | 49ers | Scout | he/him