Kirchturm und Live-Stream: Kirche, mach dich besser sichtbar!

Hanno Terbuyken
3 min readMay 5, 2024

Der Kirchturm vor Ort ist für alle Menschen sichtbar. Aus dieser Sichtbarkeit lässt sich was machen.

St. Patricks Cathedral in New York — einst das größte Gebäude der Gegend, heute im Schatten der Hochhäuser. Photo by Dana Andreea Gheorghe on Unsplash

Früher — als noch zwei Drittel der Menschen Kirchenmitglieder waren, so etwa bis 2005 (das ist 20 Jahre her, by the way)— wussten die Menschen, die an einem Kirchturm vorbeigingen, ungefähr, was sie dort erwarten könnte. Ein Sonntagsgottesdienst um 10 Uhr, eine Jugendgruppe, ein Kirchenchor.

Heute wissen die meisten Menschen das nicht mehr. Entweder, weil sie erst gar keine Verbindung zu und kein Wissen über Kirche und Gemeinde haben, denn sie wissen gar nicht, welche spirituellen oder weltlichen Bedürfnisse sie dort stillen könnten. Oder weil beileibe nicht mehr jede Kirche wie die andere ist. In Zeiten von Profil- und Personalgemeinden, entwidmeten Kirchengebäuden, regiolokaler Kirchenentwicklung, zielgruppengenauen Angeboten und großer Indiviualität kann niemand mehr am Kirchturm ablesen, was für eine Kirche sich darunter verbirgt.

Und trotzdem gucken die meisten Menschen reflexartig in Richtung Turmuhr, auch wenn die Mitgliedszahlen kontinuierlich sinken (aktuelle Statistik: -3% von 2022 auf 2023).

Es ist eine verschenkte Fläche, wenn dieser Platz nicht genutzt würde. Jeder Kirchturm sollte fertige Haken für ein Banner haben, oder eine Projektionsfläche, oder einen anderen Weg, eine Botschaft zu senden außer “ich bin ein Turm mit Uhr und Glocke”.

Den Tipp sollte sich wirklich jede Kirchengemeinde zu Herzen nehmen: Was wollen wir grundsätzlich oder gerade jetzt allen Menschen sagen, und wie passt das auf ein Plakat (oder in der Luxusvariante auf einen Riesenbildschirm) an den Kirchturm?

Online ist die Sichtbarkeit nicht selbstverständlich

Was in der physikalischen Welt funktioniert, ist online aber viel, viel schwerer. Denn dort reicht es nicht, einfach einmal einen Turm aufzustellen. In einer algorithmisch getriebenen Social-Media-Welt ist neben der Existenz des Kanals auch Aktivität ein wesentlicher Faktor.

Ein Beispiel aus der nicht-kirchlichen Welt: HandOfBlood, prominenter deutscher Videospiel-YouTuber, ist seit Mitte Januar 2024 von durchproduzierten YouTube-Videos darauf umgestiegen, täglicher Streamer zu werden (hier sein Ankündigungsvideo). Das bedeutet: Er ist vier Tage in der Woche acht Stunden am Stück online! Das ist eine Form von Sichtbarkeit, die mit einem Kirchturm oder gar einem Wolkenkratzer vergleichbar ist, der alle anderen Häuser überragt.

Und die Frequenz wird immer höher, die Social-Media-Kanäle leisten müssen, um an der Spitze der Zuschauerzahlen-Charts landen können. Auf der 5th Avenue in New York steht die St. Patrick’s Cathedral, die zu Zeit ihrer Eröffnung im Mai 1879 das größte Gebäude der Gegend war. Heute werden ihre 100 Meter hohen Türme von den umgebenden Wolkenkratzern verzwergt und beschattet.

So ist es auch mit Online-Inhalten. Wer selten postet, bekommt weniger Aufmerksamkeit, gerade im Videobereich. Tägliche Insta-Reels, zweimal täglich ein TikTok, jeden Tag vier Stunden streamen oder mindestens jede Woche ein YouTube-Video: So hat man eine Chance, an der Spitze der Charts zu landen. (Wohl denen, die nicht darauf angewiesen sind, mit dieser Form des vorprogrammierten Burnouts ihren Lebensunterhalt bestreiten zu müssen!)

Dennoch gilt auch dann, dass sich ohne eine grundlegende Sichtbarkeit keine Gemeinschaft bilden kann. Und online heißt “Sichtbarkeit” zu allererst: Es muss rgelmäßig genug passender Inhalt da sein. Denn sonst geht das eigene Profil nicht nur im Algorithmus unter, sondern ist auch auf nicht-algorithmischen Plattformen nicht so gut zu sehen. Beispiel aus eigener Erfahrung: In den Blogs, die ich bisher schreiben durfte — darunter auch dieses — profitierten alle Beiträge, auch die älteren, von Regelmäßigkeit und thematischer Nähe.

Was also daraus lernen?

Wer kein Kirchturm ist, muss sich selbst sichtbar machen. Natürlich mit Inhalten, aber Häufigkeit und Regelmäßigkeit sind genauso wichtig. Das fängt im digitalen Bereich mit einer möglichst automatisch aktualisierten Webseite und einem regelmäßigen Newsletter an und geht bis zu den ständig aktiven, Insta-Story-affinen und Reel-bereiten Influencer*innen. Wer mehr darüber wissen will, kann das ausführlich in “Vernetzt und zugewandt” finden, dem Handbuch für Digitalisierung von Gemeinden, das Philipp Greifenstein und ich zusammen geschrieben haben (erschienen im Neukirchener Verlag und erhältlich überall, wo es Bücher gibt).

Und als erstes aber: Kirchengemeinden sollten auf jeden Fall ein Banner an ihren Kirchturm hängen, damit die Menschen, die vorbeigehen, wissen, wofür dieses historische Gebäude eigentlich steht. Und wenn da nur steht “‘Du bist in Ordnung so, wie du bist’ — Jesus” oder “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst”. Auch das dürfen Menschen gerne und oft hören.

Alle Infos zu “Vernetzt und zugewandt” findet ihr auf der Homepage zum Handbuch Digitale Gemeinde. Rückmeldungen? Andere Meinungen? Findet mich auf Mastodon oder Instagram oder auch LinkedIn!

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Hanno Terbuyken

Country Manager Germany @ChurchDesk, früher: GEP & @evangelisch_de | #Digitalisierung | #DigitaleKirche | Games | 49ers | Scout | he/him