Kirche ist kein Software-Unternehmen
…und muss es auch nicht sein
Der Auftrag der Kirche ist: Für Menschen da sein, die Hilfe brauchen, gemeinsam singen, feiern und Gemeinschaft erleben, und vom Evangelium erzählen.
Für diese Aufgabe soll sie sich aller Werkzeuge bedienen, die sie braucht. Dazu gehören Musikinstrumente und Gesangbücher ebenso wie Kirchen und Gebäude und natürlich Medien und Software. Die Energie der Menschen in der Kirche sollte sich aber darin erschöpfen, ihren Auftrag zu erfüllen — nicht darin, die Werkzeuge erst noch herzustellen.
Wenn sie ein Gemeindehaus bauen, kaufen sich Kirchenämter und Gemeinden auch nicht zuerst einen Bauplan für einen Bagger, um in Eigenregie das Werkzeug zusammenzuschrauben, das sie für die Baustelle brauchen. Sie beauftragen eine Baufirma, die das richtige Werkzeug schon hat, ebenso wie das Know-How und die Spezialisten, die das Gemeindehaus dann bauen. Die Kirche muss eine kompetente Bauherrin sein, um sicherzustellen, dass das Gebäude seinen Zweck erfüllt. Alles andere machen Menschen, deren Auftrag es ist, Häuser zu bauen.
Auch Software ist ein Werkzeug, das Menschen in der Kirche dazu nutzen können, ihren Auftrag zu erfüllen. Kirche während Corona konnte nur mithilfe von Software ihre zahlreichen Online-Aktivitäten umsetzen und auf diese Weise weiter für Menschen da sein, Gemeinschaft erleben und vom Evangelium erzählen. Und dafür haben die meisten Gemeinden auf bewährte Lösungen gesetzt, von YouTube bis zu Zoom — denn die Erfüllung des Auftrags geht vor.
Bewegung statt Instutition
Im Moment ist viel die Rede davon, dass Kirche von der Instutition wieder mehr zur Bewegung, zum Netzwerk oder Erfahrungsraum wird. Zuletzt beim “Zukunftsforum” der EKD, unter anderem in diesem hörenswerten Vortrag von Dr. Sabrina Müller. Die Online-Form des Zukunftsforums musste übrigens wegen technischer Probleme abgebrochen werden. Ich weiß nicht, welche Software da verwendet wurde, aber angesichts des erfolgreichen EKD-Hackathons #glaubengemeinsam mit fast 750 Leuten und Streaming-Konferenzen wie der diesjährigen re:publica #rpremote hätte es genug erprobte Vorbilder gegeben.
Gerade weil eine Bewegung schneller und wogender ist als eine Institution, sollte sie nicht dadurch langsamer werden, dass sie erst noch eigene Werkzeuge bauen will, obwohl es fertige Bagger, Hämmer, Kollaborationsplattformen und Gemeindesoftware wie ChurchDesk gibt (für die ich bekanntermaßen arbeite).
Nicht zuletzt gibt es auch ökonomische Gründe. Die Institution Kirche ist geprägt von ihren Personalkosten — evangelische und katholische Kirche werden da bis 2060 deutlich sparen. Wie viel Sinn macht es, Programmier:innen einzustellen, wenn eine gute, erprobte Software als Abo-Service weniger kostet als eigenes Personal und von Menschen entwickelt wird, die ihren Auftrag darin sehen und mehr Zeit und Ressourcen dort investieren als die Kirche selbst?
In einer Firma, deren Auftrag Software-Entwicklung ist, ist generell mehr Geld für Weiterentwicklung dieser Software vorhanden als in einer Organisation, die sich im Namen eines ganz anderen Auftrags ein eigenes Software-Werkzeug zusammenklöppelt. Selbst wenn nicht alle mit den 16 Milliarden US-Dollar (!) Entwicklungsbudget von Alphabet spielen können (Quelle).
Die Menschen in der sogenannten “Mittlere Ebene” in der evangelischen Kirche haben das verstanden. Das sind beispielsweise Superintendent:innen, die zwischen der Instutionenbürokratie und den Bedürfnissen der Pastor:innen vor Ort vermitteln. In der “Resonanz- und Kulturanalyse Mittlere Ebene der EKD”, einer Studie, die dem oben erwähnten Zukunftsforum vorausging, wurden sie ausdrücklich danach gefragt, wovon sich die Kirche verabschieden solle.
Das Ergebnis: “Ein signifikanter Teil der ME [Mittleren Ebene] empfiehlt der Kirche, sich vom konventionellen Sonntagsgottesdienst um 10 Uhr und vom konventionellen Konfirmandenunterricht zu verabschieden; ebenso von kirchlichen Wirtschaftsunternehmen und von Einrichtungen oder Angeboten ohne erkennbar evangelisches Profil.”
Auf den Punkt gebracht: Wenn die Kirche jeden Bagger erst bauen würde, den sie für ihre Baustellen braucht, könnte sie sich damit nur ihr eigenes Grab schaufeln.
Was Kirche selbst tut, soll dem Auftrag dienen. Den Rest darf sie sich liefern lassen.
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