Eine Zoom-Konferenz ist noch keine digitale Veranstaltung

Hanno Terbuyken
6 min readOct 23, 2020

…aber manchmal reicht sie völlig aus.

Transfer, Translation, Transformation: Wie weit sind wir schon in Sachen digitale Veranstaltungen? Photo by Suzanne D. Williams on Unsplash

Alle denkbaren Tagungen werden dieser Tage ins Netz verlegt, von Barcamps über Synoden bis zu Parteitagen. Auch die EKD-Synode 2020 hat sich drei Wochen vor Beginn dafür entschieden, die Beratungen und Entscheidungen komplett ins Netz zu verlagern (siehe Meldung auf der Eule).

Es geht im Moment in der Corona-Pandemie nicht anders. Aber so sehr ich Online-Interaktion schätze: die aktuellen Varianten für Veranstaltungen haben ihre Schwächen.

Ich glaube, dass liegt daran, dass die Delegiertenversammlungen derzeit noch immer versuchen, die alten Vor-Ort-Formate in eine digitale Form zu bringen statt eine digitale Veranstaltung zu machen.

Tobias Faix hat in seinem immer noch lesenswerten Kirche-und-Corona-Artikel vom Juni die US-Kommunikationswissenschaftlerin und Expertin für digitale Religion Heidi A. Campbell zitiert. Sie…

“…unterscheidet hilfreich zwischen „transferring“ (Liveübertragung eines analogen Gottesdienstes), „translation“ (der Versuch analoge Gottesdienste an eine digitale Formen anzupassen) und „transforming“ (Entwicklung neuer digitaler Formen für digitale Formate).”

Hat sich schon wirklich was transformiert?

1-zu1-Übertragen, Übersetzen, Transformieren: Das ist auch bei der Umsetzung von Tagungen, Versammlungen und Veranstaltungen interessant.

Ich habe in den letzten Monaten und Wochen unter anderem die re:publica und die DMEXCO @ home digital besucht, die EKBO-Synode im Stream angeschaut, die Nachberichte der Vollversammlung der Evangelischen Jugend Oldenburg gelesen und bin in Planungen für die digitale Bundesversammlung des VCP eingebunden, bei der ich Teil des Protokollteams bin. Außerdem habe ich mit mehreren Menschen über die kommende digitale EKD-Synode (8.-9. November) gesprochen.

Die Veranstaltungen waren oder werden alle irgendwie digital. Alle changieren zwischen “transfer” (Übertragung) und “translation” (Übersetzung). Transformiert hat sich da noch nichts.

Das ist auch in Ordnung, denn im Moment geht es darum, corona-konform den Zweck der jeweiligen Veranstaltung zu erfüllen. Gerade auf Beschlussfassungen, Wahlen und die Einhaltung satzungsgemäßer Versammlungspflichten kann man nicht verzichten.

Aber auf Dauer müssen entweder die digitalen Formen den Erwartungen der digitalen Welt besser entsprechen oder zumindest hybride Formen gefunden werden, die Vorteile beider Varianten — analog vor Ort und digital im Netz — kombinieren können.

Die digitale EKBO-Synode beispielsweise hat zur Herstellung der Öffentlichkeit die Zoom-Konferenz, in der sich die Synodalen online trafen, als linearen Livestream auf YouTube gezeigt. Selbst der Streamchat war abgeschaltet. Das war ganz klar nur ein “Transfer”: Die Form der Synode war die gleiche wie immer, nur statt eines Treffens im gleichen Raum eben per Videocall. Zuschauer:innen waren eine Stufe weiter weg, beschränkt auf die passive Wahrnehmung des linear zugelieferten Videos.

Ein Beispiel für eine Übersetzung war für mich das Barcamp #DigitalesPfarrhaus der EKHN. Durch den Einsatz anderer technischer Mittel, vor allem Sococo, ist es dem Team gelungen, die Barcamp-Idee in den digitalen Raum zu übersetzen, auch wenn sie in manchen Dingen Einschränkungen aus dem analogen Raum übernommen haben (z.B. Raumgrößen).

Ich habe so etwas übrigens auch schon mit weniger Aufwand gesehen: Eine virtuelle Geburtstagsparty auf einem Discord-Server, auf dem alle Räume nach Zimmern in der Wohnung benannt waren. Die Idee, sich bei einer Party vom Raum zu Raum zu bewegen und dort unterschiedliche Menschen zu treffen, hat auch da gut funktioniert — ergänzt um Möglichkeiten, die es offline nicht gibt, zum Beispiel: parallele Privatchats, Stummschalten Einzelner, Video zeigen oder nicht. (Natürlich trafen sich auch da wie bei jeder Party alle in der Küche oder in der Raucherecke.)

VR-Anwendungen wie AltSpace VR oder Begegnungen in Minecraft oder Minetest können übrigens ähnlichen Charakter haben, wobei sich die Interaktion zwischen Avataren nochmal von Live-Video unterscheidet.

Was ist Spielerei, was ist echte Transformation?

Aus meinen bisherigen Erfahrungen bleibt für mich aber die Frage offen: Wie können digitale Veranstaltungen so transformiert werden, so dass sie die Möglichkeiten entgrenzter digitaler Räume tatsächlich nutzen? Unterstützt das eigentlich das Ziel der Veranstaltung, oder ist es nur eine digitale Spielerei, die zwar nach Transformation aussieht, aber keine ist?

Ich würde für die Transformation beim Thema Nähe und Unmittelbarkeit ansetzen. Beides entsteht aber nicht einfach so, nur weil etwas “digital” wird. Denn auch ein linearer Stream ohne Interaktionsmöglichkeit ist “digital”.

Wenn hingegen AOC in einem Twitch-Stream 430.000 Menschen gleichzeitig versammelt, wird mir deutlich, dass dort eine ganz andere Form von Unmittelbarkeit beginnt. Das mit Partizipationsformen zu kombinieren, die ein relevanter Teil der Entscheidungsfindung einer Versammlung sind, könnte eine echte Transformation sein.

Dabei gilt es, zu vermeiden, dass Einzelne oder Gruppen einen Kommunikationskanal so sehr mit Unsinn oder Extremen fluten, dass eine vernünftige Entscheidungsfindung unmöglich wird. Das Problem kennen Facebook, Twitter, Telegram etc. zur Genüge. Für Versammlungen, die Entscheidungen treffen sollen, müssen also entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Aber durch das vorherrschende Delegationsprinzip in kirchlichen Gremien und den authorisierten Zugriff auf Abstimmungs-Tools, wie es die EKBO in ihrer Synode umgesetzt hat, lässt sich das in den Griff bekommen.

Gleichzeitig steigen aber die Anforderungen an technisches Verständnis bei den Teilnehmer:innen um ein Vielfaches an, sobald die Komplexität der Plattform den Umfang eines Zoom-Calls überschreitet. Beim EKHN-Barcamp war das auch schon zu beobachten — die Parallelverwendung von Zoom, Sococo, Mural und Online-Sessionplan ist nicht allen gelungen. Auch das muss bei der Planung einer Veranstaltung berücksichtigt werden: Es braucht keine Transformation um jeden Preis.

Manchmal reicht der einfache Zoom-Call tatsächlich aus, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Die ChurchDesk Ideenschmiede beispielsweise ist ein kompakter Ideen-Austausch zu einem Thema mit dem Ziel, dass die Teilnehmenden eine gute Idee mitnehmen können. Dafür genügt eine anständig moderierte Videokonferenz, in der sich die Teilnehmer:innen schon auskennen.

Digitalisierung bitte nicht als Rückschritt

Selbst wenn es beim Transfer bleibt, darf aber eines nie passieren: Gerade Veranstaltungen wie die EKD-Synode dürfen durch den Transfer in den Online-Raum nicht intransparenter werden. Die Gefahr besteht zum Beispiel dann, wenn Journalist:innen, die sonst immer mit im Raum sind, eine Tagung wie die EKD-Synode nur im Livestream der Zoom-Konferenz sehen können. Das wäre dann noch weniger als ein Transfer, es wäre ein Rückschritt.

Bei einer klassischen Präsenzsynode im Maritim-Hotel, wie die EKD sie seit Jahrzehnten pflegt, sitzen die Journalist:innen und sonstigen Besucher:innen auf der Zuschauertribüne oder hinten im Saal und haben die Möglichkeit, deutlich mehr wahrzunehmen als nur ein Videobild der Person, die gerade redet. Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, in den Pausen und Abenden mit einzelnen Synodalen nochmal zu sprechen.

Die Digitalisierung der Form darf nicht dazu führen, dass für Teilnehmende, Besucher:innen und Journalist:innen mehr Grenzen in der Wahrnehmung der Veranstaltung aufgebaut werden, obwohl Digitalisierung eigentlich dazu dienen kann, Kontakthürden, Hierarchiegrenzen und Partizipationsschranken abzubauen. (Weil die meisten Synodalen nicht persönlich auf Social Media sind, wird dieser Parallelweg übrigens auch nicht ausreichen.)

Außerdem werden uns Abstandsregeln, Maskenpflicht und Hygieneempfehlungen auch in den nächsten Monaten noch begleiten. Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht vorbei.

Konkret bedeutet das: Ein Transfer in den digitalen Raum muss mindestens die gleichen Partizipationsmöglichkeiten bieten wie die analoge Form, sonst kann man es lassen. Gäste, und vor allem Journalist:innen, müssten also in der gleichen Video-Konferenz sitzen wie die Delegierten. Natürlich könnte dann ein undisziplinierter Gast die Versammlung stören. Das ist auch analog so — nur ist es für die Versammlungsleitung leichter, ihn aus der Zoom-Konferenz zu werfen als aus dem Saal.

Mittelfristig allerdings brauchen wir funktionierende Hybrid-Varianten für Barcamps, Versammlungen, Synoden, Parteitage, re:publicas und so weiter, die auch mit Corona funktionieren und die über den reinen Transfer hinausgehen. Denn wer jetzt Präsenzveranstaltungen für 2021 plant, sollte Pandemie-Pläne in petto haben, die auch den Besucher:innen in Quarantäne eine gleichwertige Teilnahme ermöglicht und das Erlebnis vor Ort bereichert.

Erst wenn diese neuen Formen mehr Selbstbestimmtheit, mehr Partizipation und mehr Interaktionsmöglichkeiten anbieten als der Transfer in eine Videokonferenz oder die Übersetzung in eine digitale Simulation der analogen Situation, beginnt der Moment der Transformation. Davon habe ich bisher aber noch nicht so viel gesehen.

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Hanno Terbuyken

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