Ein Fehdehandschuh gegen die Behörden-Kirche

Hanno Terbuyken
5 min readJul 5, 2020

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Die Kirche der Zukunft, die sich das Z-Team der EKD-Synode vorstellt, ist eine Herausforderung für die Amtskirche

Screenshot of Morpheus in the Dojo in Matrix
Don’t think you are. Know you are.

Die 11 Leitsätze zur Kirche der Zukunft, die zur Diskussion vor der nächsten EKD-Synode veröffentlicht wurden, sind eine Herausforderung an die Institution Kirche. Denn eine Kirche, die diesen Leitsätzen konkrete Taten folgen lässt, wird anders sein als heute.

Update 6.7.2020: Auf Cursor_, der Zeitschrift für Explorative Theologie, wird die Diskussion über die 11 Leitsätze ebenfalls geführt und gesammelt. Da könnt ihr euch ebenfalls beteiligen!

Diese andere Kirche wird all ihr Handeln und Reden aus dem Evangelium begründen und in öffentlichen Debatten immer explizit “im Glauben an Jesus Christus begründet” argumentieren. “Eintreten für Menschenwürde und Menschenrechte, für Freiheit und Gerechtigkeit, für Frieden und Bewahrung der Schöpfung” gibt es dann nicht ohne Hinweis auf das Evangelium.

Die Ortsgemeinde wird bleiben und hybride Offline-Online-Formate zum Normalfall machen. Aber ein Netzwerk von Christengruppen wird die automatische Zuordnung zur Parochie ersetzen. Getaufte Protestanten werden nicht automatisch zur Kirche um die Ecke gehören, sondern sich aus einer Vielzahl an zielgruppenorientierten Online- und Offline-Angeboten in ihrer Gegend die heraussuchen, die sie nutzen wollen, und mit den Menschen feiern, die sich die gleichen Angebote rausgesucht haben. (In der Kirchensprache der Leitsätze klingt das übrigens so: “soziale Bindungen werden labiler und fluider”.)

Der Fehdehandschuh gegen die Amtsstruktur

Aus diesen beiden Ideen —immer das Evangelium mitreden und der Individualisierung der Gesellschaft Rechnung tragen — leiten sich Forderungen an die bestehenden Institutionen ab, die es in sich haben.

Diese Leitsätze kommen übrigens vom “Z-Team”. Das ist eine prominent besetzte Gruppe, die die EKD-Synode 2017 berufen hat, um das Thema Zukunftskirche vorzubereiten. Sie besteht aus je vier Mitgliedern von Synode, Rat und Kirchenkonferenz, die sich noch drei junge Menschen dazu geholt haben. (Zur EKD-Synode 2019 haben sie bereits über ihre Arbeit berichtet; die Liste der Mitautor:innen an den Leitsätzen laut EKD-Information habe ich unter diesem Text notiert.)

An mehreren Stellen in den Leitsätzen haut das Z-Team also der Behörden-Kirche den Fehdehandschuh gegen die Amtsstruktur um die Ohren.

Der konkreteste Vorschlag ist, dass 10 % der Kirchenhaushalte als “geistliches Risikokapital” für Erprobungsräume und kreative Experimente eingesetzt werden sollen. Aber nicht, um mehr Institution zu finanzieren:

“Dabei ist darauf zu achten, dass diese Mittel nicht strukturbildend, sondern gezielt aufgaben- und personenorientiert eingesetzt werden, ohne dabei den Aspekt der Nachhaltigkeit aus den Augen zu verlieren.”

Für die jetzt existierenden Kirchenämter hat das Z-Team die deutliche Botschaft, dass die “finanziellen und personellen Ressourcen der Kirche für die Arbeit in Beratungsgremien, für Fachinstitute und -referenten und themenorientierte Einrichtungen und Arbeitszweige” stärker und gezielter berücksichtigen sollen, “was sie vom Evangelium her unbedingt zu sagen hat”.

Im Klartext: Ihr macht derzeit zu viel, was mit unserem eigentlichen Auftrag als Kirche nichts zu tun hat, also lasst es, wir können uns das jetzt schon nicht mehr alles leisten.

Gemeinsame Lösungen und einheitliche Standards sollen helfen, “aufgeblähte Strukturen abzubauen”. Die Landeskirchen sollen sich spezifische Schwerpunkte und Kompetenzen geben und füreinander Aufgaben übernehmen. Sie sollen aufhören, alles selbst machen zu wollen und “Parallelstrukturen zwischen EKD und einzelnen Gliedkirchen sowie der Gliedkirchen untereinander” reduzieren. In Kirchensprache klingt das ja noch beinahe harmlos:

“Die Gliedkirchen sind aufgefordert, mutig und vertrauensvoll Aufgaben, die nicht genuin kontextuell sind, an gemeinsame Akteure zu delegieren.”

Aber da liegt der Hase im Pfeffer, und wenn er aufspringt, fangen alle an zu niesen. Denn die Veränderungen, die in den 11 Leitsätzen gefordert werden, können nicht bis 2060 warten, wenn der erwartete Mitglieder- und Kirchensteuerschwund die Ämter von alleine kleiner macht. Es reicht auch nicht, nach und nach alle überflüssigen Referent:innen zu verrenten und das übrigbleibende Profil dem Zufall zu überlassen.

(Schönen Gruß an Rettet die EJS, die mit einem Vorläufer dieses Phänomens konfrontiert sind.)

Schon jetzt hält nur noch eine Minderheit der Deutschen die Kirchen für vertrauenswürdig (29%, Quelle). Die Rolle als eine der letzten Instutitionen, deren Aussagen auf einer positiv moralischen Grundlage beruhen — dem Evangelium — haben alle Kirchen schon längst verloren. Sie werden nicht mehr als Vertreterinnen einer gesellschaftlichen Mehrheit wahrgenommen, sondern als eine von vielen Interessensgruppen in unserer säkularen, pluralistischen, individualisierten Gesellschaft.

Das ist nicht schlimm. Damit kann man arbeiten, wenn sich die Menschen in Gemeinden und Ämtern dieser Rolle bewusst sind (zum Beispiel Pfarrer:innen und Gemeindereferent:innen in den ostdeutschen Bundesländern, die das alle schon längst kennen). Die 11 Leitsätze und die kommende Diskussion darüber sind ein guter Start, dieses Bewusstsein weiter zu verankern. Leider sind die Ideen dahinter nicht neu. Ich erinnere da nur an die Digitalisierungs-Synode von 2014, wo das Thema “Netzwerk statt Parochie” schon längst in der Diskussion war. (Viele der Anfragen sind viel älter, das wissen erfahrenere Menschen als ich besser.)

Wenn sich die evangelische Kirche in diese Richtung verändert, bedeutet das auf jeden Fall einen Bedeutungsverlust, entweder für die Landeskirchenämter oder die EKD. Letzeres hieße, das Nordkirchen-Modell auszubauen, mit großen Landeskirchen mit Bischöf:in & Regionalbischöf:innen, die ihre Verwaltung konsolidieren und gleichzeitig spezifische Aufgaben bundesweit übernehmen. Mindestens in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen würde ich sogar sofort hinschauen, ob das dort nicht sowieso sinnvoll ist.

So oder so sind die Leitsätze aber eines: Eine Aufforderung an jede einzelne Person in der Kirche, ihren Teil zur Gemeinschaft der Heiligen beizutragen. Ich bin gespannt, was die EKD-Synode 2020 (wie auch immer sie Corona-mäßig tagen wird) daraus macht.

Rückmeldungen? Andere Ideen? Themenvorschläge? Immer her damit, hier oder auf Mastodon!

An den Leitsätzen des Z-Teams haben laut EKD mitgearbeitet:

  • Prof. Dr. Andreas Barner, Mitglied des Rates der EKD
  • Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof und Vorsitzender des Rates der EKD
  • Uta Henke, geschäftsleitende Oberkirchenrätin, Karlsruhe
  • Beate Hofmann, Bischöfin der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck
  • Friedrich Kramer, Landesbischof der Ev. Kirche in Mitteldeutschland
  • Kristina Kühnbaum-Schmidt, Landesbischöfin der Nordkirche
  • Dr. h.c. Annette Kurschus, Präses der Ev. Kirche von Westfalen
  • Dr. Andreas Lange, Superintendent und Mitglied der Synode der EKD
  • Dr. Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der EKD
  • Dr. Christian Stäblein, Bischof der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg — schlesische Oberlausitz
  • Dr. Susanne Teichmanis, Oberkirchenrätin, Ev.-Luth. Oberkirchenrat, Oldenburg
  • Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung

Ständige Gäste:

  • Anna-Nicole Heinrich, Vorstandsmitglied der aej
  • Karl Poerschke, humenta-Vorstand Rekrutierung & Jahrgänge
  • Johanna von Büren, Wort des Lebens e.V.

Vertreter der EKD:

  • Dr. Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD und Leiter der Hauptabteilung “Kirchliche Handlungsfelder und Bildung”
  • Dr. Martin Hauger, (Geschäftsführung) Referent für Glaube und Dialog
  • Dr. Johannes Wischmeyer, Referent für Studien- und Reformfragen der Kirche

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